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18. Juli 2022

Aktivistische Investoren auf Hauptversammlungen – Was IR tun kann

Beitrag: Aktivistische Investoren auf Hauptversammlungen – Was IR tun kann

Das weltweite Anlageuniversum hat mittlerweile einen interessanten Wendepunkt erreicht. In der Vergangenheit war die Bilanzkennzahlen-Performance für die meisten Anleger von entscheidender Bedeutung, nun gelten ESG-Kriterien als das Non-Plus-Ultra der Anlagestrategien. Bereits im Januar hatten wir in einer unserer zehn Thesen für das Finanzjahr ein neues Phänomen aufgeführt: die steigende Bedeutung von NGOs und Aktivisten, die im ESG-Windschatten segeln, das Thema aggressiv kapern und die trockenen IR-Decks der Konzerntanker ins Wanken bringen.

ESG-Standards werden überlebenswichtig, besonders wenn es um frisches Kapital oder einen neuen Investor geht. Große Vermögensverwalter denken radikal um und geben den Konzernen vor, das Thema Nachhaltigkeit schleunigst zu verinnerlichen. In den Unternehmen geht es längst nicht mehr nur um das finanzielle Reporting oder den nächsten Quartalsbericht durch Investor Relations. Anleger fordern nun ein vertiefendes “Bewusstsein”, einhergehend mit der Vermittlung von Kultur und Werten sowie deren Einbindung in die Organisationsstruktur. Das ist in 150 Jahren gewachsenen Strukturen nicht ganz einfach und nicht von heute auf morgen zu ändern.

Zahlreiche neue Regularien fördern diese Entwicklung, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Investor Relations Abteilungen wirken aktuell inhaltlich wie organisatorisch überfordert, weil das Thema ESG in den meisten Konzernen im eigenen Bereichssilo „Nachhaltigkeit“ stattfindet. Die Kapitalmarktbindung fehlte bisher.

Wie funktioniert ESG-Shareholder-Aktivismus?

Diese strategische Lücke wird bewusst ausgenutzt: aktivistische Investoren greifen mit ESG Themen genau hier an. Den Anfang machen CO2-emissionsintensive Branchen, die ohnehin unter politischem Druck stehen und für die Reputationsrisiken überlebenswichtige Bedeutung haben. Im Kern sind die Ziele der Aktivisten gleichgeblieben. Ausgestattet mit Aktionärsrechten – oftmals durch „gesponserte“ Aktienpakete - wird öffentlichkeitswirksam versucht, Einfluss auf die Unternehmensstrategie, die Verwaltungsorgane oder das Management zu nehmen.

NGOs auf Hauptversammlungen

Neu ist allerdings, dass sich die Möglichkeiten zur Durchsetzung massiv erhöhen, wenn das Thema Nachhaltigkeit miteinbezogen wird. Im Vergleich zu Corporate Governance Themen kann viel leichter Druck in der Öffentlichkeit erzeugt werden. Institutionelle Investoren können es sich nicht länger leisten, diese Minderheitenmeinungen zu ignorieren, der politische Druck ist zu groß. Organe und Management setzen sich sonst dem Verdacht aus, nicht langfristig zu denken und nur kurzfristige Gewinne im Sinn zu haben.

Die Beispiele überraschender „ESG-Kaperfahrten“ häufen sich:

  • Engine No. 1 / ExxonMobil: Der Hedgefond Engine No. 1, der gerade mal mit 0,02 % am Grundkapital der Exxon Mobile Corporation beteiligt ist, erreichte im Mai im Zuge der Hauptversammlung, dass drei der von ihm vorgeschlagenen Kandidaten in den Verwaltungsrat gewählt wurden. Mit der Forderung stand Engine No. 1 nicht allein da. Unterstützung kam zum Beispiel von den Vermögensverwaltern BlackRock, Vanguard und State Street. Die Abstimmung folgte auf öffentlich harte Kritik von Engine No. 1 an ExxonMobil: Der Fokus müsse weg von fossilen Brennstoffen, hin zu einer nachhaltigen Wertschöpfungskette.  
    Der Mineralölkonzern befand sich Anfang des Jahres auch pandemiebedingt in einer geschwächten Finanzsituation. Interessanter Weise befindet sich die ExxonMobile-Aktie seit dem Aufbegehren von Engine No. 1 auf dem Erholkurs.
  • Enkraft Capital / RWE: RWE zählt bereits heute zu den größten Ökostromerzeugern in Europa. Doch Kritik am Konzern wächst auch in den eigenen Aktionärsreihen. Enkraft Capitol ist mit ca. 0,74 % am Grundkapital der Aktiengesellschaft beteiligt. Der aktivistische Investor forderte den Energiekonzern im September letzten Jahres dazu auf, die Braunkohleaktivitäten schneller als geplant zu beenden. Durch die Fokussierung auf erneuerbare Energien würde sich die Wettbewerbsfähigkeit von RWE weiter erhöhen und Wertsteigerungspotenziale freigesetzt werden.Der Investor drohte mit einer generellen Debatte zur Zusammensetzung der Gremien, sollte der Konzern nicht auf die Forderungen eingehen.

Welche Rolle spielt Digitalisierung?

Die Digitalisierung ist das neue Piratenschnellboot, der Social Media Post wird zum Enterhaken. Ohne die mannigfaltigen, digitalen Kommunikationsmöglichkeiten, wären die Aktivisten nicht in der Lage sich blitzartig und präzise zu organisieren. Auch die externe öffentliche (teils aggressive) Meinungsmache, wäre ohne Social-Media-Kanäle unmöglich. Es würde schlichtweg an Reichweite mangeln, um das notwendige Gehör zu finden. Jede digitale Aktivität wird zum dankbaren Anlass, um Dinge öffentlich zu kritisieren, die dann spätestens auf der Hauptversammlung verbal eskaliert werden.

Firmen ohne Digitalstrategie häufen nun Risiken an und geraten ins Straucheln: Kommunikation, die sich getrieben zeigt, urplötzlich „grün wird“ und darauf abzielt, eine höhere Relevanz und Akzeptanz in der Gesellschaft zu erlangen, macht sich selbst zur Angriffsfläche. IR und PR müssen vor allem dann mit lawinenartigen Effekten, wie etwa einem medialen „Shitstorm“, umgehen können, wenn ESG-Themen intern nicht 100% gelebt werden. Der DWS-Skandal ist hierfür ein gutes Beispiel. Wir erleben eine Re-Politisierung der Gesellschaft durch die Möglichkeiten des Digitalen. Empörung schlägt schnell um in Hysterie, die dann außer Kontrolle geraten kann. Laute, digital organisierte Minderheiten drängen stille Mehrheiten zum Handeln.

Greta Thunberg hat eine Entwicklung losgetreten, die ihresgleichen sucht. So ist ihr deutsches Sprachrohr Luisa Neubauer als mobile Influencerin beispielsweise in der Lage, milliardenschwere DAX-Unternehmen mit großen Kommunikationsabteilungen vor sich herzutreiben. Wenn der Siemens-Chef der Studentin Neubauer anbietet, einen Platz im Aufsichtsrat einzunehmen wie im Januar 2020, sorgt das nicht nur bei den Aktionären für Unruhe.

Was kann Investor Relations tun?

  • Zuhören: Unternehmen, die in der digitalen Welt mitspielen wollen, sollten zuerst ihre Hausaufgaben im „Social Listening“ machen. Es ist wichtig, möglichst bewusst und akzentuiert die Dynamiken zu erfahren, mit der alle Netzbeteiligten kommunizieren. Nur so kann man frühzeitig mitbekommen, dass sich Aktivisten organisieren. Darauf setzen eine konsequente Analyse von User-Verhalten und Social Listening.
  • Dialog anbieten: Haltung zeigen, die die Offenheit zum Dialog verkörpert. Für den Dialog benötigt es die gleichen Kommunikationskanäle; Kommunikationsstrategien müssen überdacht und auf den Stand des digitalen Zeitalters gebracht werden. Ziel muss es sein, auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Durch den Dialog lässt sich das aktivistische Verhalten eventuell einordnen und kommt weniger überraschend.
  • Nachhaltig und zukunftsorientiert denken und handeln: Nicht vergessen! Die aktivistischen Aktionäre treten nicht nur aus reinem Eigennutz auf die HV-Bühne. Sie und ihre Sponsoren „engagieren sich“ für eine zukunftsorientierte und langfristig wertvolle Geschäftsausrichtung und fungieren damit als Sprachrohr für einen großen Teil der Menschen in der Gesellschaft. Die ESG-Standards sind aus der Wertschöpfungsrechnung nicht mehr wegzudenken und erfüllen ihren Sinn. Unternehmen müssen sich daher strategisch neu ausrichten und Nachhaltigkeit als Teil der Corporate und insbesondere Investment Story ansehen. Hier liegt das eigentliche Potenzial!

Die aufgezeigten Entwicklungen sind gekommen, um zu bleiben. Die Gesellschaften im Kapitalismus organisieren sich gerade neu und werden politischer – Aktivisten fordern oder erzwingen ein Umdenken in Konsum, Geldpolitik und Wirtschaftssystem. Unternehmen sollten ihre bisherigen Kommunikationsmodelle schleunigst auf den Kopf stellen und ihre Dickschiffe mit vernünftigen Digital- bzw. Content-Strategien wieder auf Augenhöhe und den richtigen Kurs bringen.

Möchten Sie Ihre Nachhaltigkeitsstrategie überarbeiten oder benötigen Sie eine Analyse Ihrer IR-Kommunikation? Kontaktieren Sie uns. Wir freuen uns auf Sie!

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