„Manche versprechen einem das Grüne vom Himmel.“ Interview mit der Bundestagsabgeordneten Tessa Ganserer
Diversity ist Trend-Thema auf CSR-Webseiten. Ihre Kennzahlen dazu machen die Unternehmen aber wenig sichtbar. Ist das Pinkwashing? Im Interview spricht die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer unter anderem über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmenskommunikation. Sie ist seit 2021 für die Grünen im Deutschen Bundestag. Im Umweltausschuss ist sie Berichterstatterin für Bodenschutz, Immissionsschutz und Wald (Naturschutz). Besonders am Herzen liegen ihr aber auch die Rechte queerer und transgeschlechtlicher Menschen. Sie ist selbst die erste transgeschlechtliche Abgeordnete in der Geschichte der deutschen Politik.
Tessa Ganserer ist seit 2021 Abgeordnete der Grünen im Deutschen Bundestag. Im Umweltausschuss ist sie Berichterstatterin für Bodenschutz, Immissionsschutz und Wald (Naturschutz). Besonders am Herzen liegen ihr aber auch die Rechte queerer und transgeschlechtlicher Menschen. Sie ist selbst die erste transgeschlechtliche Abgeordnete in der Geschichte der deutschen Politik. Wir sprechen mit ihr über die gesellschaftliche Verantwortung großer Unternehmen im Zusammenhang mit Diversität und Ökologie.
NetFed: Guten Tag Frau Ganserer, wir freuen uns sehr, dass Sie die Zeit zum Gespräch mit uns gefunden haben.
Wir beobachten seit mehreren Jahren in unseren Studien zur digitalen Unternehmenskommunikation, dass Diversität generell zum Trendthema geworden ist. Es gibt auch viele Berichte z.B. zu queeren Mitarbeitenden, entsprechenden Events. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Entspricht das Ihrer Wahrnehmung der Entwicklung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene?
Tessa Ganserer: Ich persönlich habe diesen Eindruck und es gibt auch Studien, die zeigen, dass die Gesellschaft heute im Vergleich zu vor 20, 30 Jahren offener ist. Dass heute mehr queere Menschen vollständig geoutet sind als im Vergleich noch zu vor 20 Jahren. Ich habe den Eindruck, dass auch Unternehmen heute etwas Diversity-sensibler geworden sind. Nicht nur im Hinblick auf Merkmale wie Geschlecht, geschlechtliche Zugehörigkeit und sexuelle Orientierung, sondern auch in anderen Aspekten. Und ich denke, das spiegelt in etwa die gesellschaftliche Entwicklung wider.
Diversity in der Unternehmenskommunikation: Alles Pinkwashing?
NetFed: Aktuell haben wir die digitale HR- & CSR-Kommunikation der 50 größten deutschen Unternehmen untersucht und dabei festgestellt, dass inzwischen fast alle der untersuchten Unternehmen Aussagen zu Diversity im Unternehmen treffen, dass diese Aussagen aber wenig durch Kennzahlen untermauert werden. Ist das Pinkwashing? Wird das Thema Diversity für Imagezwecke genutzt oder ist hier wirklich Bewegung und Handlung innerhalb der Unternehmen festzustellen?
Tessa Ganserer: Generell denke ich, ist es eine positive Entwicklung, weil mir das zeigt, dass Unternehmen hier sensibler sind. Heute in der Zeit des Fachkräftemangels können die jüngeren Menschen sich ja nicht nur aussuchen, an welchem Wohnort sie arbeiten möchten, sondern auch bei welchen Arbeitgeber:innen. Da spielen, wesentlich stärker als noch vor ein paar Jahrzehnten, bei jüngeren Menschen neben der Höhe des Einkommens und der Sicherheit des Arbeitsplatzes auch andere Faktoren eine Rolle: Wie ist denn da die Unternehmenskultur? Was für eine Unternehmensphilosophie gibt es? Möchte ich da zu dem Team dazugehören? Kann ich mich damit identifizieren? Da wir in immer mehr Bereichen Fachkräftemangel haben, glaube ich, haben Unternehmen verstanden, dass sie auch ihre Unternehmenskultur positiv darstellen müssen und daran arbeiten.
Ich glaube aber, dass Unternehmen heute noch nicht in ausreichendem Maße verstanden haben – und das ist, was in Unternehmen heute auch immer noch schiefläuft – dass hier eine vollkommene Fehleinschätzung der Massivität von Diskriminierungen vorliegt. Es gibt zahlreiche Studien in Deutschland, z.B. Die Studie „Out im Office!“, die schon mehrfach durchgeführt wurde und die deutlich zeigt, dass in erheblichem Maße Diskriminierungen in Unternehmen stattfinden, die auch strafrechtlich relevant sind. Und ich glaube, da haben die Unternehmen noch kein Schuldbewusstsein. Sie müssen da handeln. AGG-Verstöße zwingen Unternehmen dazu, da kann man sich nicht rausreden. Es ist nicht nur nice-to-have, sondern es ist gesetzliche Pflicht, gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz vorzugehen. Der Ausmaße sind sich viele Unternehmen noch nicht bewusst.
Und das ist ja nur die Oberfläche. Darunter gärt noch viel mehr. Dass zum Beispiel auch heute noch viele Menschen nicht geoutet sind, aus Angst. Wir wissen aus Studien, dass Minderheiten-Stress krank machen kann, also allein die Angst davor diskriminiert zu werden, häufig Diskriminierungen zu erleben, beeinträchtigt das physische und psychische Wohlbefinden von Menschen. Das ist für große Unternehmen auch kostenrelevant. Wenn ich das hochskaliere bei ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung – ein paar sind geoutet, andere sind nicht geoutet. Die einen erleben, weil sie geoutet sind, Diskriminierungserfahrungen. Die anderen leben in der permanenten Angst, sich zu verplappern. Und das hat entsprechende Auswirkungen, auch wenn man es nicht wirklich in Euro ausrechnen kann. Aber man kann sehr wohl hochrechnen, dass dies ein relevanter Personalkostenfaktor ist.
Es geht also nicht nur darum, dass sich Menschen in dem Unternehmen nicht wohlfühlen, dass man unter Umständen Fachkräfte verliert, sondern dass das ein Kostenfaktor ist. Und auch in die andere Richtung, dass Menschen, die sich wirklich am Arbeitsplatz wohlfühlen, sich frei entfalten können, dass sie produktiver und kreativer sind. Auch das glaube ich, haben Unternehmen noch nicht in ausreichendem Maße verstanden. Wenn ich sehe, was Unternehmen alles tun im Bereich Marketing, Kommunikation und Personalführung, aber das Thema Diversity-Management, da stecken Unternehmen meiner Meinung nach auch heute noch viel zu wenig Geld rein. Es geht darum, Diversity-Management im Unternehmen, in allen Facetten wirklich zu leben. An der Stelle geht in der deutschen Wirtschaft und auch schon in mittelständischen Unternehmen einfach Produktivität verloren.
Und jetzt zum Thema Pinkwashing: Wenn heute Konzerne wirklich viel Geld ausgeben, um auf CSDs sichtbar zu sein, wenn sie ihre Konzernlogos in Regenbogen tauchen und gleichzeitig nicht wirklich glaubhaft etwas gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz unternehmen, wenn sie auch nicht glaubhaft Diversity-Management betreiben, dann laufen sie Gefahr, irgendwann des Pinkwashings entlarvt zu werden. Pauschal kann man nicht sagen, ob die Teilnahme an CSD automatisch Pinkwashing bedeutet. Sondern ich glaube, Unternehmen müssen sich bewusst sein, dass das natürlich ein Faktor ist, um attraktiver zu gelten, um eben die zehn Prozent queere Menschen als potenzielle Fachkräfte nicht abzustoßen. Dass es ein Kostenfaktor ist, was Personalkosten angeht, wenn Menschen psychisch krank werden, weil sie diskriminiert werden, dass es sich lohnt, dann natürlich auch das positiv darzustellen, das finde ich gerechtfertigt. Aber manche Unternehmen müssen aufpassen, dass sie das im täglichen Business auch wirklich leben, sonst verspielen sie Glaubwürdigkeit. Ich glaube, da wird zunehmend – ähnlich wie beim Greenwashing – auch kritisch draufgeschaut: Wird wirklich gelebt, was da versprochen wird?
NetFed: Im Kontakt mit Menschen, über Zuschriften, bekommen Sie da Hinweise auf berufliche Probleme oder Diskriminierung in Unternehmenskontexten?
Tessa Ganserer: Ich brauche es gar nicht zu individualisieren, sondern es reichen die Studien. Ja, die sprechen Bände, das ist objektivierbar. Und das kann keiner negieren und sagen, bei mir ist sowas noch nicht vorgekommen, mit mir als Unternehmer können ja alle reden. So ist es eben nicht. Es ist davon auszugehen, dass sich durch alle Unternehmen Diskriminierung wie ein roter Faden hindurch zieht. Ja, es mag vielleicht in einem Kleinstunternehmen mit zwei Beschäftigten so sein, dass dann die Unternehmensführung glaubhaft und sicher sagen kann, dass hier niemand diskriminiert wird. Aber wenn ich einmal eine größere Personalzahl hab, dann muss ich davon ausgehen, dass auch in dem Unternehmen Diskriminierungen stattfinden oder dass es eben kein Ort ist, wo sich alle wohlfühlen.
Corporate Social Responsibility – Die Grundlage ist das Grundgesetz
NetFed: Wie sehen Sie generell die gesellschaftliche Verantwortung großer Konzerne, was z.B. die Position queerer Menschen oder von Menschen mit Migrationshintergrund in Beruf und Gesellschaft angeht?
Tessa Ganserer: Es ist schön und nett, an irgendwelche Ethiken vom ehrlichen Kaufmann zu appellieren. Und ich bin sicher, dass manche Unternehmen das wirklich leben, also mit Überzeugung dahinterstehen. Und das würde ich mir von allen Konzernen wünschen und nicht nur in ihren deutschen Produktionsstätten, sondern ich würde mir auch mehr soziales Engagement von deutschen Unternehmen in internationalen Produktionsstätten wünschen, wo wir wissen, dass es mit den Rechten von queeren Menschen nicht so weit her ist wie in Deutschland und in Mitteleuropa. Um ein Mindestmaß von gesetzlichen Rahmenbedingungen kommen wir nicht rum. Eigentlich würden Artikel eins, zwei und drei des Grundgesetzes schon reichen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“. „Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich“. Und kein Mensch darf diskriminiert werden. So einfach jetzt zusammengefasst - das würde ja eigentlich reichen für ein gutes gesellschaftliches Miteinander. Und das würde ich mir auch für Unternehmen wünschen.
Und damit das, was uns die Verfassung, das Grundgesetz verspricht, auch im täglichen Leben eingehalten wird, dafür gibt es dann untergeordnete Gesetzgebungen und daran kommt kein Mensch vorbei. Und das AGG gilt für alle, nicht nur für Beschäftigte, sondern auch im Kundenverhältnis.
NetFed: Wieviel Regulation sollte es geben und wie viel Bewegung kann/ sollte eher aus einem veränderten Bewusstsein heraus entstehen. Es geht ja nicht nur um strafrechtliche Verfolgung, sondern es geht auch um das Handeln einzelner Menschen aus einer Überzeugung, aus einem Verständnis oder einem Gefühl heraus. Wie würden Sie diese Balance verstehen zwischen Regulation und eigener Motivation?
Wenn cis-/heterosexuelle Menschen sich für Akzeptanz und gleiche Rechte einsetzen, dann ist das nicht nur ehrbar, sondern für ein gutes gesellschaftliches Miteinander sind wir alle in der Verantwortung. Und es ist verdammt nochmal nicht die Aufgabe der Menschen, die benachteiligt, ausgegrenzt, diskriminiert werden oder sogar Gewalt erfahren, sich allein dagegen zu wehren. Grundrechte gelten für alle. Und dort, wo fehlende Akzeptanz in Ablehnung, in Benachteiligung oder sogar in Gewalt umschlägt, da kann man nicht darauf warten, bis das alle verstanden haben, mit der Begründung „das dauert eben, man muss den Menschen Zeit geben“. Nein!
Dort wo Menschen aufgrund von gruppenbezogenen Merkmalen benachteiligt, ausgegrenzt werden, Gewalt erfahren, da gelten rechtliche Bedingungen und das ist nicht zu akzeptieren und dementsprechend kann sich da kein Mensch und kein Konzern rausreden und sagen: „Ach ja, mein Gott, wir haben ja jemanden, der ist ja geoutet, die anderen werden sich dann auch trauen.“ Oder: „Mein Gott, der reißt ab und zu schwulenfeindliche Witze. Der packt Frauen an den Arsch. Der ist halt noch nicht so weit.“ Nein, das ist ein No-Go! Da sind Grenzen überschritten! Und es sind Unternehmen, es sind Menschen mit Personalverantwortung auch in der Pflicht, dazwischen zu gehen. Wenn jemand sexistische Übergriffe macht im Unternehmen oder jemanden schwulenfeindlich beleidigt, dann muss im Unternehmen klar sein: Wer diskriminiert, geht. Und es ist eben nicht Aufgabe derjenigen, die benachteiligt werden oder Gewalt erfahren oder sexistische Übergriffe, sich allein dagegen zu wehren. Das ist Aufgabe der Unternehmensführung und der Menschen mit Personalverantwortung. Da kann man sich nicht rausreden, da kann man nicht sagen „Wir sind ja heute eh schon weiter. Jetzt dürfen‘s ja schon heiraten. Was ham‘s denn.“
Sprache schafft Bewusstsein: Genderneutrale Sprache als Zeichen von Respekt
NetFed: Wir sehen in unseren Studien, dass genderneutrale Sprache sich in der Unternehmenskommunikation immer weiter durchsetzt, in einigen Bereichen zum Standard geworden ist. Nichtsdestotrotz wird genderneutrale Sprache von vielen Menschen abgelehnt oder kritisiert. Wie entgegen Sie dem?
Tessa Ganserer:: Da muss ich etwas weiter ausholen. Und ich möchte dort anfangen, wo die Grenzen sind. Artikel eins des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und Artikel zwei des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“ gelten universell. Das ist Maßstab für unser gesellschaftliches Miteinander, für gutes gesellschaftliches, respektvolles und anständiges Miteinander. Wenn eine Person äußert, dass sie einen bestimmten Spitznamen nicht hören möchte, dann wäre respektvoller Umgang unter Freund:innen, unter Kolleg:innen, dass man diesen Spitznamen nicht verwendet.
Und wenn ein Mensch transgeschlechtlich oder non-binär ist, dann ist die Geschlechtszugehörigkeit als intimster Teil seiner grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechte zu respektieren. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum, das kann man nicht ausdiskutieren. Das gilt für Unternehmen, für Beschäftigte, auch gegenüber Kund:innen. Das ist einzuhalten. Und da sind sich manche Unternehmen der möglichen Konsequenzen nicht bewusst. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil 2017, als das Bundesverfassungsgericht in einem weiteren Urteil die Grundrechte von transgeschlechtlichen und non-binären Menschen gestärkt hat und ihnen zugestanden hat, dass sie das Recht haben, einen dritten positiv formulierten Geschlechtseintrag jenseits der binären Geschlechterordnung Mann und Frau zu wählen, da wurde von Unternehmensorganisationen lang und deutlich darauf hingewiesen, dass man, um Diskriminierungsklagen zu entgehen, das in Zukunft bei der Stellenausschreibung berücksichtigen muss. Da haben Unternehmen sehr sensibel drauf reagiert und das schon lange vor Inkrafttreten der gesetzlichen Änderung implementiert. Und ich glaube in erster Linie war das die Angst, Diskriminierungsklagen bei Stellenausschreibungen zu bekommen.
Ich würde mir wünschen, dass der Respekt vor Kund:innen eine ebenso große Motivation darstellt, wie die Angst vor Diskriminierungsklagen. Deswegen haben Unternehmen im Kundenverkehr Menschen auch die Möglichkeit zu geben, dass sie, wenn sie das wünschen, geschlechtsneutral angesprochen werden. Wenn man ein Kundenprofil anlegt, und Unternehmen nur die Anrede „Herr“ und „Frau“ zulassen, handeln sie ganz klar diskriminierend gegenüber non-binären Personen. Da kann man sagen „wo kein Kläger, da kein Richter“. Aber der Tag wird kommen, wo Unternehmen dazu aufgefordert werden und die Gerichte sprechen da eine sehr stringente Sprache. Es ist kein Hexenwerk, statt der Option „Mann“ und „Frau“ die Anrede offenzulassen und das in eine Datenbank zu implementieren. Und das gilt heute für die persönliche Anrede von Mitarbeitenden und generell transgeschlechtlichen Personen. Wenn sie sich outen, dann sind sie in ihrer Geschlechtlichkeit auch im Unternehmen respektvoll zu behandeln. Dann haben sie das Recht, dass ihr Namensschild geändert wird, dass Sie eine neue E-Mail-Adresse bekommen und das auch schon vor der amtlichen Personenstandsänderung.
Was genderneutrale Formulierungen allgemein in der Sprache angeht, denke ich, dass Sprache Bewusstsein schafft. Und auf der anderen Seite, dass Sprache auch immer gesellschaftliche Entwicklungen abbildet. Sprache hat sich permanent weiterentwickelt, tut es permanent. Ich habe z.B. den Eindruck, dass es langsam aufhört, dass sich Menschen über Anglizismen beschweren. Das war vor 20 Jahren eine wahnsinnige gesellschaftliche Aufregung – diese zunehmenden Anglizismen. Das ist ein Ausdruck einer zunehmenden globalisierten Welt, wo Englisch eine der Weltsprachen ist. Und es wird sich nicht aufhalten lassen. Das war genau wie jetzt eine Übergangszeit, und ich glaube, das muss die Gesellschaft aushalten, dass wir unterschiedliche Geschwindigkeiten erleben. Dass sich ältere Menschen heute schwertun, ich glaube, dass das jüngere Menschen verstehen müssen oder auch, dass ältere Menschen verstehen müssen, dass junge Leute vielleicht weiter sind. Und manchmal gibt es dann Sprachwirrwarr oder sprachliche Missverständnisse.
Ein Beispiel aus der Praxis: Mein Vater ist jetzt 86 Jahre, der hat sein Leben lang nur im Dialekt gesprochen, im bairischen Dialekt. In der Generation meines Vaters sind noch eine ganze Reihe französischer Wörter in der Umgangssprache erhalten. Das Trottoir, der Plafond, das Kanapee, das Portemonnaie, und der Parapluie für den Regenschirm. Das ist Teil der Alltagssprache. Für meinen Vater ist es seine Mundart, es ist seine Heimatsprache. Mit der ist er aufgewachsen, und mit der hat er sein ganzes Leben verbracht. Ich verstehe noch, was er damit meint. Ich verwende aber diese Formulierungen nicht mehr und meine Kinder stehen dann fragend da und fragen sich unter Umständen, was der Opa jetzt damit meint. Das einfach als Beispiel, wie lebendig Sprache ist. Und mit der genderneutralen Sprache schaffen wir jetzt in diesem Moment ein Bewusstsein.
Wir zeigen auch Menschen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem verorten, automatisch durch genderneutrale Sprache, dass wir sie sehen, dass wir sie wahrnehmen, dass wir sie respektvoll behandeln.
Auf der anderen Seite ist diese Implementierung in Unternehmen heute einfach auch Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Es ist heute nicht mehr zu ignorieren und von der Hand zu weisen, dass Geschlechtlichkeit facettenreicher ist, als es die ältere Generation und auch ich es noch im Biologiebuch in der achten Klasse gelernt haben. Das bildet sich heute in der zunehmenden Verwendung von genderneutraler Sprache ab. Das muss man als Gesellschaft aushalten, und da sind auch Unternehmen in der Verantwortung. In der direkten Ansprache gibt es rechtliche Pflichten. Das kann jede Person für sich einfordern, die sich in einem binären Geschlechtersystem nicht verortet, dass sie weder als Herr noch als Frau angesprochen wird. Darauf haben Unternehmen zu achten. Wir befinden uns in dieser Übergangszeit, wo sich Menschen schwertun und ich glaub, da braucht's auf beiden Seiten ein bissel Verständnis, dass man die Menschen mitnimmt und ihnen das auch erklärt.
Nachhaltigkeitskommunikation: Mit Kennzahlen gegen Greenwashing
NetFed: Analog zur mangelnden Sichtbarkeit von sozialen Kennzahlen auf Unternehmenswebseiten beobachten wir Ähnliches auch im Bereich der Ökologie: Über Nachhaltigkeit sprechen alle, aber ökologische Kennzahlen zum Energiemanagement, zum Recycling, zur Biodiversität stagnieren oder sind leicht rückläufig. Und nun? Sagen wir: Juhu, für ganz viele sind das wichtige Themen oder sagen wir: Oje, das ist Greenwashing, hier geht es nur ums Image? Wie sehen Sie das aus Ihrer Perspektive als Politikerin?
Tessa Ganserer: Ebenso wie beim Thema Pinkwashing möchte ich nicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren und möchte nicht pauschalisieren. Das wird der Situation nicht gerecht. Da gibt es heute eine große Spannbreite. Es gibt Unternehmen, die extrem vorbildlich sind, die Early Adopter, die das aus Überzeugung machen, die das wirklich auch leben und das als Teil der Unternehmensphilosophie sehen und die eigentlich Richtschnur sein sollten. Und wir haben nationale und internationale Verpflichtungen. Wir haben die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, wo es darum geht ein gutes Leben in Würde für alle Menschen zu ermöglichen. Und das nicht nur für die heutige, sondern auch für die zukünftige Generation.
Und wenn wir das wirklich ernst meinen, dann bedeutet es heute vereinfacht gesagt, dass wir unsere Lebens- und Wirtschaftsweise so gestalten müssen, dass wir die ökologischen Grenzen dieses Planeten nicht überschreiten. Das tun wir aber. Und das heißt nicht zurück zur Steinzeit. Das heißt auch nicht Abkehr von einer sozialen Marktwirtschaft. Für mich spricht nichts gegen einen freien Markt, wenn es faire Wettbewerbsbedingungen gibt und wenn der innerhalb sozialer und ökologischer Leitplanken stattfindet.
Viele Unternehmen sind bemüht, besser zu werden. Wir müssen aber sehen, dass es uns global immer noch nicht gelingt, dass wir uns innerhalb dieser Leitplanken bewegen. Und ich glaube, dass Freiwilligkeit allein nicht reicht, sondern dass wir Spielregeln brauchen, so wie große Unternehmen kapiert haben, dass sie Spielregeln brauchen. Große Unternehmen kennen beispielsweise den Wert von funktionierenden Betriebsräten. Die wissen, dass das auch Klarheit und Verbindlichkeit schafft, ebenso wie Zufriedenheit, wenn hier wirklich Mitbestimmung gelebt wird. Es geht manchmal nicht ohne Spielregeln. Alle haben ihren Arbeitsvertrag und bestehen darauf, dass der eingehalten wird.
So banal es ist, ich glaube, das brauchen wir auch gesellschaftlich. Und deswegen, glaube ich, reichen Vereinbarungen nicht. Manche versprechen einem das Grüne vom Himmel. Wir haben das gesehen jetzt die letzten Jahre mit Claims, mit irgendwelchen selbst erfundenen Etiketten. Es gibt mittlerweile diesen Trend, Unternehmen haben gemerkt, dass immer mehr Konsument:innen, Verbraucher:innen darauf achten, wie wird produziert, was haben die für eine Unternehmensphilosophie? Manche versuchen da besser zu werden, legen ihre Daten offen und teilweise entsteht wieder regelrechter Wildwuchs, wo versucht wird, sich möglichst grün darzustellen, was aber, wenn man gesamtwirtschaftlich den Ressourcenverbrauch betrachtet, einfach nicht nachhaltig sein kann.
Deswegen, was die Veröffentlichung ökologischer Kennzahlen anbelangt und deren Bedingungen, das sind gesetzliche Rahmenbedingungen. Die CSR-Richtlinie, die jetzt schon etwa 500 Unternehmen in Deutschland verpflichtet, die wurde ja noch einmal weiterentwickelt und das wird dazu führen, dass in den nächsten Jahren stufenweise weitere Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsbilanzen etc. veröffentlichen müssen. Und ich glaube, das ist sinnvoll und notwendig. Damit wird dann unter Umständen auch der eine oder andere Fall von Greenwashing auffällig. Wenn wir uns Regeln geben als Gesellschaft, wenn wir ein Spiel spielen, gibt es Spielregeln und wenn sich jemand nicht dran hält, dann muss das Konsequenzen haben, weil sonst macht das Spiel keinen Spaß. Und in der Gesellschaft ist es auch so, wenn jemand gegen eine Regel verstößt, muss das Konsequenzen haben, sonst macht die Regelung keinen Sinn, dann wird sie auch nicht eingehalten.
NetFed: Aus Ihrer politischen Erfahrung heraus: Was bringt Menschen generell ins konkrete Handeln? Sind das nur die Spielregeln, oder gibt es da auch andere Motivationen und Antreiber?
Tessa Ganserer: Sowohl als auch. Das würde ich mir generell für diese Gesellschaft wünschen, dass wir als Gesellschaft insgesamt weniger egoistisch unterwegs sind, mehr auf gutes Miteinander achten. Früher hätte man gesagt anständig miteinander umgehen. Ich glaube solche Werte sind ein bissel verloren gegangen. Das ist eher ein Problem der Zeit in dieser globalisierten Welt, die immer schneller wird, immer größere Strukturen hat, dass man leicht das Gefühl bekommt als einzelnes Individuum, dass man überhaupt keine Wirkmächtigkeit hat. Das führt dann dazu, dass Menschen sich nicht motiviert sehen, weil sie das Gefühl haben, ohnmächtig zu sein. Und das kann man in Unternehmen auch beobachten, dass die Unternehmenskultur, die Mitspracherechte auch lebt, dass das die Produktivität steigert, also dass z.B. Menschen Verbesserungsvorschläge liefern. Und die meisten Mitarbeitenden sind ja motiviert, die wollen ja gute Arbeit abliefern. Und wenn sowas gesehen, umgesetzt und damit auch wertgeschätzt wird und in gewisser Weise honoriert wird, dann motiviert das Menschen. Das ergibt positive Feedbacks und das ist gesellschaftspolitisch auch der Fall. Wenn Menschen Möglichkeiten haben, eine eigene Wirkmächtigkeit zu erleben, dann motiviert sie das, selbst aktiv zu werden. Das finde ich wichtig, Menschen mitzunehmen und das braucht man auch für nachhaltige Entwicklung.
Ich glaube, dass wir da nur funktionieren, wenn wir das als Gesellschaft wirklich leben wollen. Aber ich kann und möchte mich da als Politikerin nicht aus der Verantwortung ziehen, alles auf die Verbraucher:innen abzuwälzen und zu sagen „Na ja, ihr müsst halt aufpassen, dass ihr keinem Greenwashing auflauft“ oder „Ihr müsst halt verantwortlich konsumieren“. Das würde der Verantwortung der Politik nicht gerecht werden. Da braucht's dann auch Spielregeln und dafür leben wir in einer Demokratie und das ist eine wunderbare Sache, dass es unterschiedliche Parteien gibt, die ihre eigenen Positionen haben, dass man alle vier Jahre nachkorrigieren kann und dort, wo die Gesellschaft zum Ergebnis kommt, dass die Spielregeln angepasst werden müssen, dass das auch geschieht. Es ist – egal in welchem Bereich – nicht egal, von wem wir regiert werden, und es ist nicht egal, was der Einzelne macht. Jeder kann was verändern und wenn es nur der Umgang ist.
NetFed: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sarah Nellen
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