Es stimmt, ESG ist inzwischen im Investment-Bereich und in der Kapitalmarktkommunikation fest verankert. Jedenfalls als Begriff. Aber die Verwendung eines Keywords reicht bei weitem nicht aus. Ist ESG mehr als nur ein Schlagwort im Geschäftsbericht? Was ist mit den Details? Wie stark ist ESG im Investor Relations-Sektor wirklich vertreten?
Wer Investment will, braucht gute ESG-Kommunikation
Der Druck auf Unternehmen umwelt- und sozialverträglich zu agieren, wird als Teil des ESG-Ansatzes (Environment, Social, Governance) immer größer - nicht nur auf regulatorischer Ebene. Institutionelle und private Investoren orientieren sich zunehmend an den ESG-Ratings der Unternehmen, bevor sie entscheiden, ob sie in ein bestimmtes Unternehmen investieren oder nicht. Neben der Integration von neuen Produkten hat vor allem die Qualität der Kapitalmarktkommunikation eines Unternehmens direkten Einfluss auf seine Anlegerfreundlichkeit. Unternehmen müssen ihr Engagement und gute Unternehmensführung in Hinblick auf ökologische Kriterien, soziale Verantwortung und Corporate Governance nachweisen, indem sie klare Aussagen zu Corporate Social Responsibility (CSR) und ESG treffen und ihre Aktivitäten den Anlegern transparent darlegen. Daher findet man heute auf den meisten Webseiten der DAX40-Unternehmen Informationen zu CSR-Aktivitäten und ESG-Leistungen - vor allem als Antwort auf regulatorische Rahmenbedingungen der EU. Sind sie aber auch Bestandteil einer umfassenderen Kommunikationsstrategie? Wie gut ist die Einbindung von ESG auf den IR-Webseiten?
Studie: Nachhaltigkeit als Bestandteil der IR-Strategie
Gemeinsam mit Stakeholder Reporting haben wir eine Studie unter 40 DAX-Unternehmen durchgeführt. Wir wollten wissen, inwiefern der Faktor Nachhaltigkeit überhaupt Bestandteil der IR-Strategie großer Unternehmen ist.
Zielgruppe der Studie in den DAX-Unternehmen sind neben den Investor Relations-Teams und den Kommunikationsabteilungen vor allem diejenigen, die z.B. über die Platzierung von ESG-Themen mitentscheiden, wie z.B. Chief Financial Officers, Chief Digital Officers oder CSR Coordinators. Auch für HR-Abteilungen ist die ESG-Thematik mittlerweile unabdingbar. Best-Practice-Beispiele unterstützen dabei, die ESG-Kommunikation in der Praxis zu optimieren.
Nicht im DAX vertretene Unternehmen und mittelständische Unternehmen können hier Inspiration finden, wie sie ESG thematisch und organisatorisch besser in ihre Kommunikation integrieren können. Da der Mittelstand in wesentlichem höherem Maße auf Kreditfinanzierung angewiesen ist, wird er in den nächsten Jahren in besonderem Maße von ESG betroffen sein, da die Hausbanken Nachweise darüber einfordern.
ESG in der Unternehmenskommunikation – mehr als nur ein Schlagwort?
Nachhaltigkeitsstrategien formulieren inzwischen die meisten der DAX40-Konzerne. Knapp 80 Prozent nennen auch das Klimaziel ihres Unternehmens. Geht es jedoch um die tatsächliche Erreichung dieser Ziele, halten sich die Unternehmen etwas bedeckter. Hier sind es rund 50 Prozent, die Angaben zum Zielerreichungsgrad machen. Weitere Umweltziele werden ebenfalls nur von der Hälfte der untersuchten Unternehmen benannt.
Das Vorgehen der Unternehmen ist bislang oberflächlich und nutzt die gebotenen Chancen nicht. Wenn wir in die Tiefe gehen, finden wir kaum (18%) inhaltlich detaillierte Auseinandersetzungen mit dem Bereich Nachhaltigkeit - wie z.B. in Blogs oder Magazinen. Auch visuelle Darstellungen z.B. der Wesentlichkeitsmatrix oder der Wertschöpfungskette sehen wir mit 20 Prozent ebenso selten wie z.B. interaktive Kennzahlentools.
Environment, Sustainable Development Goals und GHG-Protokoll
Über die Hälfte der Unternehmen nutzt auf ihren Webseiten als zentrales Element die Sustainable Development Goals (SDG), die von den Vereinten Nationen im Jahr 2015 verabschiedet wurden und eine globale nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene garantieren sollen. Der verbreitetste globale Standard zur konkreten Bilanzierung von Emissionswerten ist jedoch das Greenhouse Gas-Protokoll. Es definiert mit Scope 1, 2 und 3 verschiedene Kategorien von erzeugten Emissionen und schreibt vor, diese zu bilanzieren. Ziel dabei ist, alle direkten oder indirekten Emissionen eines Unternehmens möglichst genau zu erfassen. Anhand der so gesammelten Daten können in einem zweiten Schritt Reduktionsziele formuliert werden.
Bislang berichten nur 38 Prozent der Unternehmen von Scope 1 und 2 Emissionen, Scope 3 Emissionen werden sogar nur von 23 Prozent benannt.
ESG-Kriterien, Nutzerfreundlichkeit und Verknüpfung mit Investor Relations
Eine Möglichkeit, ESG-Kriterien online-verträglich darzustellen, liegt im Mapping relevanter Berichtsstandards wie z.B. der Global Reporting Initiative (GRI) ( vgl. auch: SASB2, TCFD3, Bezug zu CSRD4). Hierauf greifen 40 Prozent der Konzerne zurück. Einen Mehrjahresvergleich von ESG-KPIs finden wir bei einem Viertel der Unternehmen. ESG-KPIs in maschinenlesbaren, digitalen Formaten stehen bei 20 Prozent der Unternehmen zur Verfügung.
Die Investment-Story ist eine Möglichkeit der IR-Kommunikation erzählerisch zu beschreiben, warum ein Unternehmen oder eine Branche eine gute Investitionsmöglichkeit darstellt und so wichtige Impulse.geben Die Story hat das Potenzial, eine größere Resonanz hervorzurufen, indem sie die Stärken, Chancen und Wachstumspotenziale des Unternehmens oder der Branche vermittel und so das Vertrauen in die Investition stärkt.
Ein für uns springender Punkt ist die Integration der ESG-Information in die Investment Story. Das sehen wir bislang bei 50 Prozent der Unternehmen umgesetzt. Enorm wichtig ist außerdem der Hinweis auf ESG-Ratings – bislang nutzt etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen diese Möglichkeit. Spezielle Publikationen zur Nachhaltigkeit kann ein gutes Drittel der Unternehmen aufweisen und knapp die Hälfte veröffentlichen Statements zu Selbstverpflichtungen oder zur Teilnahme an besonderen Initiativen.
Gender Equality, Menschenwürdige Arbeit und Bildung
Schauen wir auf den Faktor "Gesellschaft". Dazu zählt vor allem das Thema Gender Equality. Kennzahlen zum Frauenanteil im Unternehmen (35 %) oder zu Frauen in Führungspositionen (40%) gibt es bei weniger als der Hälfte der untersuchten Unternehmen. Angaben zur Fortbildung der Mitarbeitenden finden wir mit 18 Prozent recht selten. Informationen zu existenzsichernden Löhnen für die Belegschaft oder zur Zahlung von existenzsichernden Löhnen durch Logistikpartner gibt es nur bei zwei von insgesamt 40 Unternehmen. Wir haben auch überprüft, ob es Angaben zu Durchschnittswerten für das Gehalt weiblicher oder männlicher Angestellter oder von Management und Angestellten gibt – hier sind wir überhaupt nicht fündig geworden. Auch hier wird eine riesige Chance nicht genutzt. Nicht nur Bewerbende suchen bei Unternehmen zunehmend nach diesen Informationen. Auch für die interne Kommunikation im Unternehmen sind sie von großer Bedeutung. Gender Equality, Entlohnung und Fortbildung, wichtige Stichworte in der Sozialberichterstattung von Unternehmen, die das Potenzial bergen, die Identifikation mit dem Unternehmen und die Motivation der Mitarbeitenden zu stärken und in Unternehmen interne Prozesse anzuregen.
Single Source of Truth: Kontroversen im ESG-Kontext kommunizieren
Wenn es um Kontroversen, laufende Verfahren und den Umgang mit ihnen geht, halten sich die Konzerne überwiegend bedeckt. Nur eines von insgesamt 40 untersuchten Unternehmen kommuniziert auch kontroverse Aktivitäten im ESG-Kontext. Daraus ergibt sich ein Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Erfolge und Meilensteine werden breit publiziert, Kontroversen jedoch überwiegend totgeschwiegen. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit. Anstelle einer stärkeren Polarisierung kann transparente Kommunikation Kontroversen abmildern und den Kommunikationsstil in öffentlichen Diskussionen positiv beeinflussen.
Fazit: Die ESG-Kommunikation der Unternehmen ist unzureichend
Das Gesamtergebnis unserer Studie ist deutlich: Die ESG-Kommunikation der Unternehmen ist unzureichend. Nur 8 der 40 Unternehmen haben mindestens 50 % unserer Kriterien abgedeckt, mehr als die Hälfte nicht einmal 30 %. Mit der Deutschen Telekom haben wir einen Ausreißer an der Spitze - sie deckt weit über 80 % unserer Kriterien ab und hat einen Vorsprung von fast 200 Punkten vor dem Zweitplatzierten Mercedes-Benz.
Unsere Empfehlungen:
ESG – eine Chance, sich auf der Corporate Website zu positionieren
ESG-Themen haben den Weg auf die IR-Webseiten gefunden. Aber wo werden sie angesiedelt? Im Reporting erwähnen alle DAX40-Unternehmen den Begriff ESG mindestens einmal - was zeigt, wie wichtig dieses Thema für große Unternehmen ist, wenn sie öffentlich über ihre Aktivitäten sprechen. Auf den Corporate Websites spielen ESG-Daten jedoch noch keine große Rolle. Die häufigsten Schwerpunktthemen sind Klimaziele, Nachhaltigkeitsziele und soziale Ziele. Das ist ein Indiz dafür, dass die Unternehmen noch zu sehr darin verhaftet sind, ESG-Inhalte als Pflichtaufgabe anzusehen. Die große Chance liegt unserer Meinung nach darin, die Thematik als Chance zu begreifen, sich gewinnbringend zu profilieren und zu positionieren.
Zahlen und Fakten – besser online-tauglich aufbereiten
Es fällt auf, dass die untersuchten Unternehmen die Zahlen und Fakten zu ESG nicht online-tauglich darstellen. Für die zukünftige Berichterstattungspraxis wären beispielsweise Mehrjahresvergleiche, eine maschinenlesbare Aufbereitung oder die Bereitstellung einer Suchfunktion für die ESG-KPIs hilfreich, damit Shareholder und Stakeholder einen Überblick über die ESG-Konformität der Unternehmen gewinnen. Das ist zusätzlich wichtig, weil oftmals Algorithmen die Berichte und Websites der Unternehmen screenen, um sie hinsichtlich des ESG-Ratings einordnen zu können.
Möchten Sie Ihre Website auf aktuelle ESG-Standards hin überprüfen? Melden Sie sich bei uns für einen kostenlosen ESG-Check für Ihren Webauftritt.
1 GRI - How to use the GRI Standards (globalreporting.org)
3 Recommendations | Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (fsb-tcfd.org)
4 CSRD (csr-berichtspflicht.de)
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